Menno Fahl - Zwischenwelten, Eröffnungsrede in der Kunstsammlung Neubrandenburg
Von Fritz Jacobi
Eröffnungsrede zu Ausstellung
Menno Fahl – Zwischenwelten
Malerei – Plastik – Assemblage – Grafik
am 12. April 2014
in der Kunstsammlung Neubrandenburg
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Menno Fahl!
„Draußen reiben wir uns an Moden, Zeitgeist und Avantgarde-Dünkel“, schrieb Menno Fahl 2011 und fabulierte weiter: „Ich aber finde mein Portrait in jedem Baumstumpf, jedem abgetragenen Ameisenhaufen und gehe doch weiter. 'Mein Baum wächst' rufen die Künstler, schwärmen aus und laufen durch die Straßen, Häuser und Galerien, anstatt am eigenen Mythos zu graben. Dank an den Sammler, der die Kunst noch bei der Wurzel packt. Dank dem Künstler, der den Baum nicht von der Krone her aufzäumt! Wenn wir ehrlich sind, entspricht das vielmehr dem Augenblick, wenn im Atelier das Werk gelingt oder wenn hinten im Garten der Kuckuck lacht.“ In diesen Worten schwingen Aufbruch, Humor und Selbstvergessenheit mit und lassen ahnen, warum wir heute einer solch burlesk-suggestiven Figurenwelt gegenüberstehen.
Der Berliner Künstler, 1967 in Hannover geboren, studierte Malerei in Kiel bei Peter Nagel und später in Berlin Bildhauerei bei Lothar Fischer, der einst der Münchner Künstlergruppe SPUR angehörte, die seit den späten 1950er Jahren mit vitalem Gestus gegen alles Abstrakte aufbegehrte. Menno Fahl suchte nach dem Studium einen Weg, die Flächenkunst der Malerei mit der Körperkunst der Skulptur zusammenzuführen und fand – auch im anregenden Austausch mit Künstlerkollegen wie Klaus Hack, Pomona Zipser, Sati Zech oder Walter Libuda - zu der für ihn typischen Kunsthaltung, in der Form und Farbe eine Art Symbiose eingehen und so ausdrucksstarke, signalhafte Gestaltzeichen zwischen Phantasie und Realität entstehen lassen.
Es gibt zwei Pole im Werk von Menno Fahl, die zu einer bewegt-ausgewogenen Übereinkunft gebracht werden, ohne ihre jeweilige Eigenwirkung preiszugeben. Das trifft in besonderem Maße auf seine Skulpturen und Assemblagen zu, besitzt aber in etwas modifizierter Form auch für seine Gemälde und Arbeiten auf Papier noch Geltung.
Welche Polaritäten sehe ich ? Nach meinem Dafürhalten bilden das Lapidare, das Stückhafte, der einfache Zeugcharakter oder die zufällige Findung den einen gewichtigen Aspekt seiner Kunstsprache, der auf der anderen Seite das Magische, das Ganzheitliche, der komplexe
Objektcharakter sowie die bewusst gesetzte Komposition als ebenso grundlegendes Moment seiner Intention gegenüberstehen. Dieser Wechsel zwischen einer scheinbar spielerischen Leichtigkeit und einer kompakten, zuweilen monumental anmutenden Ausstrahlung bewirkt jenen erregenden Spannungszustand, der die meisten seiner Arbeiten auszeichnet und dem Betrachter offenbar gegensätzliche Wahrnehmungsimpulse vermittelt.
Wenn man diesen Skulpturen von Menno Fahl begegnet, so entsteht zunächst der Eindruck, dass da ein Künstler lediglich altes Abfallmaterial aufgelesen, zusammengesetzt und mit Farbflecken versehen hat, was jedem bei etwas Interesse und Mühewaltung auch möglich sein sollte. Gerade die jetzige österliche Zeit weckt ohnehin auf weitem Felde gestalterische Fähigkeiten und lässt allerlei fröhliches Schmuckwerk entstehen, was auch richtig gut ist. Und in der Tat treffen sich hier durchaus kreative Vorgänge, die auf verwandte Intentionen menschlichen Tuns zurückgehen. Als ich Menno Fahl vor kurzem noch einmal besuchte, sprachen wir auch über die ganze Welt der Spielzeuge, Marionetten, Roboterfiguren und sonstiger Monsterwesen, die nicht so weit abliegt und in größerem Rahmen eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten mit seinen Werken aufweist.
Doch schaut man diese meist stelenartigen Objektskulpturen von Menno Fahl näher an, so lässt sich unschwer feststellen, wie sehr diese splittrigen Holzteile, scharfkantigen Metallstücke und andere bizarre Restbestände mehr oder minder aggressiv aufgeladen sind und durch die expressiv gesetzten Farbfetzen in solch sperriger Wirkung noch unterstützt werden. Alle diese gleichsam als Bausteine zu bezeichnenden Detailformen verbleiben im Lapidaren, auch im uns Vertrauten und beginnen doch schon ein merkwürdiges Eigenleben zu entfalten! Die Form der Zusammensetzung, der Montage, der gegenseitigen Verklammerung macht einen völlig neuen Gestalteindruck möglich. Hier zeigt sich, mit welch künstlerischer Intensität die aufgefundenen Materialien in zeichenhafte, konstruktiv und poetisch zugleich erscheinende Strukturformationen verwandelt werden. Plötzlich entstehen Gebilde, die ein Stück weit aus der gewohnten Welt heraustreten und ihre eigene Imagination verkörpern.
Ich sprach eingangs vom Moment des Magischen, das sich in einem permanenten Wechselspiel mit dem Moment des Lapidaren befindet. Diese allein durch die Art des Zusammenfügens und der farblichen Orchestrierung entstandene Wertigkeit beschwört damit jene Aura des Fremdartigen herauf, welche diese vermeintlich leichthändigen Figurationen in beinahe mythisch geprägte Grenzbezirke rückt. Bezüge zu archaischen Kunstformen, zu Kultzeichen der Naturvölker oder auch zu den übersteigerten Ausdrucksgebilden der Moderne stellen sich ein und geben der Phantasie ein gerüttelt Maß an Raum, entgrenzen gleichsam unseren Blick auf organische Körpergefüge und dinghafte Objekte.
Man könnte diese Grundwerte des Lapidaren und des Magischen auch mit dem Begriffspaar von Nähe und Distanz in Beziehung setzen, was zugleich körperliche Greifbarkeit – das Haptische also – und räumliche Illusion – als das Optische – einbindet. Damit sind wir auch an einem Punkt, der besonders das skulpturale Werk von Menno Fahl ganz grundlegend betrifft – gemeint ist das Zusammenwirken von Form, die durch die Volumina entsteht, und Farbe, die sich über die Oberfläche des Materials ausbreitet oder diese fleckhaft akzentuiert. Mit dieser Gestaltungsform des Grenzgängers knüpft Menno Fahl bewusst an der Skulpto-Malerei eines Alexander Archipenko an, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Verbindung zwischen den Gattungen suchte und einmal sagte: „Meine Skulpto-Malerei stellt eine gegenseitige Beziehung von Form und Farbe dar. Eines betont oder verringert das andere. Sie sind optisch und geistig vereint oder kontrastiert. Das hängt von dem beabsichtigten Ziele ab. […] Vom geistigen, ästhetischen, emotionalen, schöpferischen und symbolischen Gesichtspunkt sind die Form/Farbe-Wechselwirkungen so reich wie die Variationen in einer Symphonie, in der ein musikalischer Satz mit einem anderen verschmilzt und dadurch vielfache Reaktionen in dem Zuhörer auslöst.“
Im Gespräch mit Menno Fahl hat sich gezeigt, dass er diesen Sachverhalt in seiner Arbeit genauso versteht, und somit ein Teil seines künstlerischen Wollens ganz auf die Möglichkeiten dieser gegenseitigen Durchdringung ausgerichtet ist. Bei etwas eingehenderer Betrachtung seiner Skulpturen unter diesem Aspekt bemerkt man, wie stark in ihnen die flächigen Körperformen dominieren und so der Farbsetzung eine größere Eigenentfaltung gewähren, was dieses gemeinsame Wirken von Form und Farbe noch einmal in seiner Spezifik deutlich werden lässt. Im Zusammenspiel gewinnen beide Gestaltwerte wesentliche Anteile an der Gesamtstruktur und befördern so etwas wie einen Zustand der Entschwerung, die allen seinen skulpturalen Montagen innewohnt.
In seiner Malerei entfällt dieser elementare Konflikt zwischen realem Körper und farblicher Rhythmisierung. Aber auch in diesen ganz expressiv ausgefochtenen Szenerien bleiben aufgrund der Flächengliederungen und Umrissbildungen sowohl kompakt-plastische als auch malerisch modellierende Ausdruckskräfte spürbar. Selbst die Dualität von Lapidarem und Magischen trägt auch hier die Grundkonstellationen, denn einfachste, scheinbar spontan gesetzte Detailformen gehen in ihrer Verflechtung in einer mythisch anmutenden, oft mit grotesken Zügen ausgestatteten Gestaltbildung auf.
Menno Fahls großer Wahlverwandter, der dänische Maler Asger Jorn, der 1948 zu den Mitbegründern der Gruppe COBRA gehörte und später starken Einfluss auf die Münchner Gruppe SPUR hatte, bahnte seinerzeit Wege zu einer elementar und urwüchsig ausgreifenden Kreativität, bezog entdeckerfreudig nordische Sagen- und Fabelwelten ein und blieb damit ein
wichtiger Anreger auch für Künstler der jüngere Generationen.
Lassen Sie mich deshalb schließen mit Worten von Asger Jorn, der in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden wäre und dessen offene, zuweilen in geheime Vergangenheiten rücklotende Kunst von etwas durchdrungen war, was auch Menno Fahls ständiger Verwandlung des Erlebten ins Imaginäre hinein entspricht. 1942 schrieb Asger Jorn zur Gestaltwerdung des Mysteriums Leben: „Es handelt sich hier überhaupt nicht um eine freie Wahl, sondern im Gegenteil darum, daß man in das ganze kosmische System der Gesetze eindringt, die die Rhythmen, die Energien und die Substanz beherrschen, die die Wirklichkeit der Welt ausmachen, und zwar vom Häßlichsten bis zum Schönsten, in alles, das einen Charakter und einen Ausdruck besitzt, selbst wenn es sich um das Gröbste und Brutalste oder um das Edelste und Zärtlichste handelt, in alles, was zu uns spricht, weil es das Leben selbst ist.“
Schönen Dank!