Installation als vitaler Gestaltungsakt. Zu den plastischen Arbeiten Menno Fahls
Von Uwe Haupenthal
Hölzerne Fundstücke sind das bevorzugte Material des Bildhauers Menno Fahl. Daneben finden sich in seinen Assemblagen jedoch auch Elemente aus Draht, Nessel, Papier und Pappe, aus Plastik und anderen Substanzen. Mag die nicht länger entschlüsselbare Genese dieser stofflichen Vielfalt zugunsten eines neuen, semiotisch gebundenen plastischen Zusammenhangs in den Hintergrund treten. Gänzlich aufzuheben ist dieses heterogene Moment freilich nicht, beschreibt es doch einen auf den ersten Blick zwar ungeordneten, womöglich chaotisch ausgreifenden, sich auf diese Weise dem Betrachter zugleich aufdrängenden plastischen Kontext. Dieser ist nicht zuletzt Garant archetypischer, d.h. emotional vereinheitlichender Wirkung. Zwitterhaft, gleichwohl anspringend und verlebendigend, erscheint Menno Fahls konzeptionelle Ausgangslage!
Die farbige Fassung der in den bildnerischen Kontext eingebrachten Formen negiert deren ursprüngliche, eigenwertige Oberflächentextur. Kommt es in Menno Fahls plastischen Arbeiten hingegen zum Gebrauch unbehandelter Matierialien, so geschieht dieses auf der Gundlage ihrer koloristischen Valeurs. Die Farbe ist es mithin, die somit eine strukturierende phänomenologische Vereinheitlichung gewährleistet.
Eine Werkgruppe Menno Fahls beschreibt Winkelkonstruktionen. Plastische Binnenformen werden reliefhaft von einer Wand hinterfangen und definieren sich, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, aus übergeordnetem bildnerischen Zusammenhang, wenngleich sie, aus einem Zustand des nicht Abgeschlossenen, auch gegen dessen Dominanz permanent zu rebellieren scheinen.
Vor unseren Augen entwickelt sich ein mit geradezu provozierender 'Nachlässigkeit' inszenierter, auratischer 'Farbraum', aus dem das plastische Konstrukt sichtbar hervorgeht. Einzelne ausgreifende Formen stören indes immer wieder diesen vorgegebenen Rahmen, innerhalb dessen sich häufig auch mit dem Pinsel aufgemalte Partien finden, sei es zur Ergänzung und Pointierung eines abbildhaften - figuralen - Zusammenhanges oder aber zu rhythmisierender Strukturierung.
Ein Blick auf Menno Fahls bisherige Werkentwicklung belegt sein besonderes Interesse an einer differenzierenden künstlerischen Positionierung zwischen tafelbildähnlichem Relieffeld und freistehender, allansichtiger Plastik. Der Farbe kommt in diesem Zusammenhang eine doppelte Funktion zu: Einerseits absorbiert sie die plastisch-räumliche Wirkung der Binnenformen und erschließt ein exponiertes künstlerisches Handlungsfeld, das auf einen übergeordneten Kontext abhebt und vorgegebene Gattungsgrenzen unterläuft. Andererseits trägt die farblich vereinheitlichte Oberflächenstruktur vor allem der freistehenden Plastiken des Künstlers nicht unwesentlich zu ihrer optischen Präzisierung gegenüber dem Raum bei. Form wird vermittels der Farbe gegenüber dem Umraum 'versiegelt', was dieser zweiten Werkgruppe eben auch eine gewisse, körperhaft wirkende, plastische Verfestigung sichert. Menno Fahl erreicht dies zuvorderst durch die Verwendung neutralisierender, weil gedeckt wirkender Farben wie Weiß, Blau, Grau oder Schwarz.
Der vom Künstler erzeugte Farbraum und der vorgefundene, das plastische Bildfeld noch einmal umgebende 'natürliche' Raum definieren prinzipiell gegensetzliche plastische Auffassungen. Während der Farbraum seiner Winkelfiguren einen eigenwertigen, der Zeichnung oder dem Tafelbild nicht völlig fremden 'bildnerischen Aktionsrahmen' eröffnet, ist die freistehende, stelenartig aufgebaute Plastik durch eine plastische Stringenz ausgewiesen, die sich letztendlich gegen faktische Wirkmächtigkeit räumlicher Unendlichkeit behaupten muss.
Wenngleich der Betrachter nicht immer unmittelbar das abbildende Moment als semiotischen Richtwert erkennt und man sich gelegentlich in die konkrete Bildsemantik Menno Fahls einsehen muss, so steht die menschliche Figur doch eindeutig im Zentrum seiner plastischen Arbeit. Durchaus eine traditionelle Thematik. Sie ist dennoch aus einer innovativ vorgetragenen plastischen Inszenierung heraus zu verstehen und zu beurteilen.
Die bildnerische Inszenierung des Figürlichen erfolgt augenfällig durch rätselhaft wirkende, aus fremdem Zusammenhang herausgerissene Objektfragmente. Statt einer für die Darstellung der menschlichen Figur als verbindlich erachteten Kanonik kommt es zu struktureller Verzahnung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Figur und Gegenstand.
Menno Fahls konzeptionelle Gestaltung greift darin auf Inventionen der klassischen Moderne zurück: Kubistische Plastiken und Collagen Picassos finden sich in diesem Zusammenhang neben der Kunst der sog. Primitiven, die Werke der Art Brut Jean Dubuffets neben denjenigen der deutschen Künstlergruppe "Spur", zu der im übrigen auch Lothar Fischer gehörte, Menno Fahls Lehrer an der Berliner Kunstakademie. Verbindungslinien lassen sich zu den aus hölzernem Trödel und aus Abfallstücken zusammengesetzten plastischen Installationen Louise Nevelsons ziehen oder zu den plastischen Werken der Popkünstler Robert Rauschenberg oder Claes Oldenburg. Motivische Relationen gibt es zu den farbintensiven Bildern von Georg Baselitz und zu den zeichenhaft reduzierten, magisch anmutenden Arbeiten A.R. Pencks. Zweifelsohne schätzt Menno Fahl den bildnerischen Zugriff und die damit verbundene, im Resultat oftmals poetisch anmutende, unmittelbare Wirklichkeitsaneignung von Kinderzeichnungen.
Menno Fahls Beschäftigung mit dem Relief mag in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung gewesen sein. Erschließt sich doch gerade aus der plastischen Winkelanlage ein prinzipiell ungebundenes, in seiner letztendlichen Gestalt weithin offenes, prozesshaft konzipiertes Bildfeld. Der Künstler ist Teilnehmer am Vorgang der Bildentstehung. Er vermag sie zu beeinflussen und partiell zu steuern. Zu beherrschen mag er sie nicht. Überkommene normative Vorgaben haben ihre richtungsweisende Verbindlichkeit nachhaltig eingebüßt. Statt dessen scheint der Künstler tradierte Vorgaben in einem sukkzessiv erfahrenen, d.h. zeitlich gestreckten Gestaltungsakt, bewusst und gezielt zu unterlaufen. Ohne Zweifel ein subversives Unterfangen. Abbildlichkeit, d.h. eine vorab bestimmte Sichtweise von Realität, ist nicht länger unabdingbare Vorgabe, sondern vielmehr das Ergebnis des bildnerischen Prozesses. Zielt Menno Fahl in der frontalen Anlage seiner Figuren auch auf eine gewisse Typik, so werden narrative oder gar szenische Momente zurückgedrängt, wenn nicht gar ausgeschlossen. Möglich allenfalls, dass sich diskursiv vorgetragene Handlung als Resultat plastischer Gestaltung 'einstellt', indem Figuren eine nicht näher bestimmbare Form oder einen Gegenstand in der Hand halten, einander zugeordnet sind oder aber infolge ihrer Arm- und Beinstellung Aktion andeuten.
Gestalterischer Kern jeder plastischen Arbeit Menno Fahls ist die konstruktive wie die optische Bewältigung eines auf den ersten Blick eher diffus wirkenden Gesamteindrucks. Dieser resultiert aus disparat wirkendem plastischem Ausgangsmaterial. Die Technik der Assemblage lässt indes unmittelbar vorgenommene bildhauerische Veränderungen nur selten erkennen, was nicht zuletzt den stakkatohaften, etwas ungelenk wirkenden Aufbau der Figuren bedingt. Letztere sind somit nicht abbildhaft vorgegeben, sondern Ergebnis einer sichtbar vorgenommenen Montage.
Doch erst die Farbe erzeugt figürlich-semiotische Eindeutigkeit, wobei Menno Fahl in seinen reliefierten Winkelplastiken prinzipiell keinen Unterschied macht zwischen der dreidimensionalen Form und einer mit dem Pinsel gezogenen Linie. Mehr noch: Oftmals findet die tatsächlich vorhandene Form ihre logische Fortsetzung in der Linie oder aber in einer durch Punkte strukturierten Fläche. Für den Betrachter durchaus nachzuvollziehen, da in diesen Arrangements nicht länger die Form in Relation zum neutralen Umraum, sondern vielmehr die eigenwertige Gesetzmäßigkeiten des Farbraumes gelten.
Dieser besteht auf einem plastischen Diktat: Jegliche Tektonik, die Vorstellung von erdschwerem Tragen und Lasten der Form, erscheint zu Gunsten schwebender, all-over-hafter Leichtigkeit aufgehoben. Nicht zuletzt auch als Folge des Montagecharakters, haftet den Figuren oftmals auf diese Weise etwas Spielerisches an. Vor allem aber entwickeln sie den Eindruck magischer Präsenz. Figurenschemata bleiben in ihrer Reduktion dem wirkmächtigen Form- und Farbarrangement untergeordnet. Von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Plastiken Menno Fahls erweist sich die konkrete Handhabung der oftmals ungelenk erscheinenden Form respektive die von ihr ausgehende malerisch-pointierende Kommentierung. Chaotisch wirkende Gegensätzlichkeit besteht auf bildnerischer Autonomie. Will heißen: Es ist die tatsächliche, immer auch etwas ungefügte, sperrige Präsenz der farbigen Assemblage, die mitunter willkürlich erscheinende und mit dem konventionalen Figurenschema nicht in Einklang zu bringende kompositorische Zentren ausbildet und so eine prinzipiell eigenwertige Vorstellung von Realität vermittelt. Doch gerade dieser Konstellation haftet nicht nur unbändige strukturelle Vitalität an, sondern sie bedingt auch eine meditativ-geistige Ebene. Erfahrbar etwa in bestimmten, verhalten wirkenden, mit dem Pinsel wie in Trance gezogenen Linien, die den Eindruck vermitteln, als wolle der Künstler durch sie im konkreten Gestaltungsakt die initiierte Dynamik ausgleichen. Im Unterschied zu früheren, farbintensiven plastischen Setzungen verwendet Menno Fahl in seinen neueren Arbeiten weit mehr neutralisierendes Weiß. Eine deutlich wahrnehmbare Beruhigung der plastischen Gesamtanlage.
Ungeahnte Bedeutung gewinnt vor diesem Hintergrund die Frage nach dem Bildformat. Nicht etwa die große, pathetisch anmutende Form bestimmt die bildnerische Anlage. Diese resultiert vielmehr - als Folge innerer Entgrenzung - aus der Proportion der Teile untereinander. Die tatsächliche Dimensionierung einer plastischen Komposition verliert folglich an Relevanz, vermag der Bildhauer doch in unterschiedlichem Format Ähnliches ins Werk zu setzen.
Realität wird nicht länger als statisch festgefügte, unabänderliche Gegebenheit bestimmt, sondern vielmehr als ein im Ergebnis prinzipiell offener, gleichwohl mental zu bewältigender Prozess. Abbildlichkeit verliert den Charakter einer verbindlichen Größe und erscheint als Resultat einer, per definitionem, aktiven Aneignung des plastisch-malerischen Bestandes durch den Künstler wie durch den Betrachter. Ihr kann durchaus eine mythische Dimension zuerkannt werden, versteht man darunter eine existenzdefinierende Haltung, die einheitliche letztendlich nicht erklärbare, sondern lediglich in konkreter Handlung zu erfahrende Weltsicht über begrifflich-rationale Erkenntnis stellt.
Insbesondere Menno Fahls plastische Stelen reklamieren in diesem Zusammenhang gegenüber den reliefhaft eingebunden Winkelfiguren weit größere skulpturale Prägnanz, sind sie doch in ihrer vertikalen Struktur 'schutzlos' dem Raum ausgesetzt. Ein Umstand, der den Blick ebenso auf die Abfolge kubischer Binnenteile wie auf das raumerschließende, weil vom Boden abgehobene Standmotiv lenkt. Sinnfälliger Ausdruck latenter existentieller Gefährdung, aber auch des selbstverständlichen Willens, sich zu behaupten. Figur erscheint in einer Arbeit Menno Fahls gar als seriell angelegte, vertikale Abfolge von kurzen horizontal angebrachten, verschiedenfarbigen Brettern und besteht auf diese Weise auf einem Höchstmaß an existenzdefinierender Autonomie. Skulpturaler Bestand und Raum bilden eine unverhohlen vorgetragene, wechselseitige Relation aus, die das figurale Schema in seinem unmittelbaren Wiedererkennungswert zwar fast gänzlich in den Hintergrund drängt, seinen semantischen Kernbestand dennoch nicht auflösen kann. Eine plastische Anlage, die das Thema 'Figur' selbstbestimmt aus sich heraus zu definieren vermag.
Gestaltung versteht sich nicht länger als Synonym eines bloß intellektuell motivierten Verfahrens. Menno Fahl verbindet mit der Skulptur vielmehr den unverstellten Anspruch umfassend vorgetragener Welthaltigkeit. In diesem Ansinnen eines der zentralen Paradigmen der Moderne aufgreifend, bewegt sich die von seinen Plastiken ausgehende existentielle Erfahrung zwischen den Polen existentieller Gefährdung, unbändiger vitaler Aufgeschlossenheit und mystisch-retardierender Aneignung. Ein Prozess, der freilich niemals zu einem verbindlichen Abschluss kommen kann, sondern unabdingbar auf künstlerische Innovation setzen muss.