Menno Fahl. Zwei Begegnungen in den Jahren 1993 und 2003

Von Hans-Werner Schmidt

Im September 1993 bin ich zum ersten Mal mit Menno Fahl zusammengekommen. Ich lud sechs Künstler aus Kiel ein, eines ihrer Werke in den Dialog zu setzen mit Werken aus der Sammlung der Kunsthalle zu Kiel. Diese Wahl sollte vor Publikum erläutert werden. Menno Fahl brachte mit das Bild "Freunde" (1991). Hätte er es in die Nähe der im Hause gut vertretenen "Cobra"-Sammlung platziert, wäre der verwandtschaftliche Grad sofort ins Auge gefallen. Seine stämmigen, maskenhaften und farbenfrohen Wesen hätten sich gleich als Verwandte jener wild-fröhlichen Gestalten zu erkennen gegeben, die familiäre Beziehungen gleichermaßen zur kindlichen Umsetzung der menschlichen Figur wie auch zu Sagenbildern mit nordischen Kobolden aufweisen. Doch Menno Fahl entschied sich für einen anderen Dialog, der von ihm einige Übersetzungsleistungen erforderlich machte. Seine "Freunde" fanden sich neben einer aufgeschlitzten Leinwand von Lucio Fontana "Concetto Spaziale". Das Bild war ein mehrjähriger Gast in Kiel, ausgeliehen von der Adolf-Luther-Stiftung in Krefeld. Wollte der 1967 geborene Menno Fahl eine Debatte aktivieren, die in den 1950er Jahren zu ihren mit Polemiken gespickten Hochzeiten gefunden hatte, und die die unversöhnlichen Gegensätze von Ungegenständlichkeit und Gegenständlichkeit, von Abstraktion und Realismus stilisierte? Nein, dazu hätte sich das Bild mit dem positiven Titel "Freunde" auch nicht geeignet. Menno Fahl ist in seinem Werk auf den Spuren einer anderen Debatte. Seit Cézanne steht das Bild in seiner Darstellungsform des scheinbar konstruierten Raumes auf dem Prüfstein. Die Fläche durch das Beherrschen perspektivischer Techniken als Raum auszugeben, wurde zunehmend obsolet. Als besonders radikale Stellungnahme dazu sind die Bilder von Lucio Fontana zu verstehen. Durch das Aufschlitzen der Leinwand wurde erst Raum erschlossen, auch wenn dieser sich hierbei nur in reliefartiger Dimension ergibt. Hintergrund ist dabei die Sphäre hinter dem Keilrahmen. Erst der Schnitt ermöglicht den Tiefenraum. Auch die Ikonographen waren als Interpreten bei diesem Akt zur Stelle. Noch nie war in ihrer Sicht die Seitenwunde Christi so überzeugend auf / in einer Bildfläche platziert worden wie in dem die Leinwand verletzenden Akt Fontanas.

Menno Fahl hat von 1988 bis 1992 Malerei studiert bei Peter Nagel an der Muthesius-Hochschule in Kiel. Der Lehrer wurde in den späten 1960er Jahren bekannt als Mitglied der Malergruppe "Zebra", die, abgeleitet von Fotografien, einen zu Zeichen verdichteten Naturalismus in scharf umrissener Konturierung und malerischem Trompe l'oeil praktizierte. "Zebra" wurde 1965 in Hamburg von Dieter Asmus, Peter Nagel, Dietmar Ullrich und Nikolaus Störtenbecker gegründet.

Vom "Zebra"-Programm findet sich im malerischen Werk Menno Fahl nichts. Nagel vor Nagel heißt freilich das ästhetische Vagabundieren in den Bildwelten der Art Brut-Künstler wie auch Anleihen bei Materialrohheiten, die vor allem Picasso anscheinend im Ad-hoc-Zugriff zu Bildern verdichtete. Doch Nagel blieb dabei immer in der Fläche. Diese Werkphase des jungen Peter Nagel war in der Lehre gegenüber seinem Schüler Menno Fahl präsent. Auf die immer nachhaltiger gestellte Frage nach dem Bild im Raum, ohne diesen zu simulieren, gab es aber hier keine befriedigende Antwort. So entschloss sich Fahl zu einer zweiten Studienphase. Er ging 1993 zu Lothar Fischer an die Hochschule der Künste in Berlin, um Bildhauerei zu studieren. Fischer war Mitglied der Gruppe "Spur", die, einige Jahre älter als die Künstler der "Zebra"-Gruppe, noch in einem unmittelbaren Verhältnis zu "Cobra" ihren künstlerischen Weg gesucht hatten. "Spur" wurde 1958 in München von Lothar Fischer, Heimrad Prem, Helmut Sturm und HP Zimmer gegründet. Auch die Künstler der Gruppe "Spur" sahen sich mit der Frage der raumgreifenden Bilder konfrontiert, was letztlich zum Bruch der alten Bande und zu deren Neubelebung in der darauf erfolgten Gründung von "Geflecht" führte. Der scheinbar überbordende Pinselduktus, in geschwungenen Karton- oder Metallbahnen seine materialisierte Form findend, ließ das Bildgeviert hinter sich und fand zu dynamischen Formen in skriptural anmutenden Konstruktionen im Raum.

Es muss an dieser Stelle nicht ausgeführt werden, in welchen Dimensionen heute das Bildgedächtnis der Menschheit auf verschiedenen Datenträgern und unterschiedlichen Zugriffsweisen zur Verfügung steht. Das Angebot muss bedrohlich wirken für Künstler, die vor diesem übermächtigen Panorama dabei sind, ihre Bildsprache zu elaborieren. Menno Fahl zeichnet aus, dass er nicht in einer "Zapp"-Mentalität geistig-visuelle Ressourcen befragt, sondern in unmittelbarer Auseinandersetzung mit historischen Vorbildern auch deren Problemstrecken durchexerziert, um zu seiner Lösung der Bild-Raum-Beziehung zu kommen. Die Ausstellung und der gleichnamige Katalog "Winkelfigur und Stele" (Georg-Kolbe-Museum Berlin und Richard-Haizmann-Museum Niebüll 2003) geben hierzu Aufschluss. Fahls "Freunde" von 1991 haben sich von der Leinwand gelöst und in Form von archaisch anmutenden Stelen Gestalt genommen. Rohe Holzsegmente, gefunden oder mit der Kettensäge bearbeitet, sind die Elemente für die Gestaltzusammenfügung. Stuhl- und Tischbeine werden wie sensible Ausläufer der massiven Kernfigur appliziert. Fahl ist dabei ein Bildaufbauer. Die Stelen erhalten eine ebenso roh zusammengezimmerte Bühne und Fahl achtet bei der Platzierung auf den Wandbezug. Das Ensemble bleibt als Gegenüber gleichsam auf einer Bildebene. Fahl forciert diese Positionierung, in dem er einige Figuren mit Bodenplatte und hinterfangendem Fond ausstattet. Die Plastik ist so bildhaft verortet und das Bild in Schichtungen raumeinnehmend strukturiert. Das farbige Kleid ist dabei nicht an der Anatomie der Figur orientiert, schafft somit nicht ein mehr an plastischer Differenzierung, sondern verbindet im Duktus Figur, Boden und Hintergrund. Vor allem durch diese Form des Farbeinsatzes wird die dreidimensionale Konstruktion wieder in das Feld der Malerei delegiert. Ein Werk wie "Große grüne Winkel-Figur" (1999) verschmilzt trotz additiven Vorgehens in den Raum wieder zu einem Farbbild.

Auch in den neuen Bildern ist das Freundesschema präsent. Ob "Tramper" (1996-2002) oder "Zwei in Landschaft" (2003) - die Burschen stehen gleichsam sperrig wie auch in heiterer Anmutung auf den Bildträgern. Applizierte Hölzer und manches ad hoc hier zum Einsatz gekommene ausgediente Werkzeug aus dem Atelier gliedern die Anatomie. Ausschnitte, Negativform im Grund des Bildes, schaffen ein Mehr an Profilierung, lassen das Gemälde als Relief erscheinen. "Auswüchse" erweitern das Feld des Bildträgers und transferieren den so ins Feld der Plastik. Farbe strukturiert und kommt bei Detailschilderungen zum Einsatz.

Menno Fahls "Freunde" zeigen sich in den letzten Jahren immer mehr verwandt dem Typus "Nussknacker". Dominanter Kopf und robuster Leib prägen seine Erscheinung, während die Extremitäten im Vergleich dazu eher unterentwickelt wirken. Zu dieser Form der Gliederpuppen-Anatomie kommt Fahl ebenso im Holz- und Materialdruck. Seine langen Kerle in grün ("Grüner Langer", 2002), rot , blau und gelb erinnern zudem an das "Kopffüssler"-Stadium früher Kinderzeichnungen.

Während Fahl in seiner jüngsten Porträtserie sperrige Utensilien zum Einsatz bringt ("Drahtkopf", 2003 und "Gitterkopf", 2003), die Kontur und Physiognomie eines Gesichtes mit dem Nachdruck des Materials betonen, so vermag er ebenso Gestalten in fragiler Leichtigkeit über die Kombination von papierenen Collagen und dem Einsatz von Gouachen zu ihrem Auftritt zu verhelfen.

Im Frühjahr 2003 zeigte der Frankfurter Kunstverein die Ausstellung "deutschemalerei2003". Kritiker verwiesen auf die Dominanz der Medien als Ursache eines tiefgreifenden Wandels der Wahrnehmung. So formulierte Jean-Christophe Ammann, dass der plastische, lebendige Raum bei den jüngeren Malern verlorengegangen sei und unterstrich das klassische Akademie-Argument, dass wieder nach dem Modell gezeichnet werden müsse. Fast zeitgleich zeigte der Neue Leipziger Kunstverein im Museum der bildenden Künste eine Ausstellung mit sieben malerischen Positionen von Meisterschülern der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Die "Berliner Zeitung" brachte es im Vergleich zwischen Frankfurt und Leipzig auf den Punkt. Während man sich dort mit einer Polaroid-Ästhetik, transferiert in Malerei, zufrieden gäbe, sprächen die Leipziger Bilder von den Tugenden einer akademischen Grundlehre.

Menno Fahls gerissene und patchwork-ähnlich zusammengefügten papierenen Figuren, seine hölzernen Gestalten, die trotz heiterer Anmutung in Gesten und farbigem Kleid sperrig daherkommen, wie auch seine Wesen, die er aus Farbmaterie herausschält, kommen allsamt von der Werkbank und tragen in sich nicht das Erbgut einer Datenbank. Im Kino gelangen heute die Gralshüter und Hohepriester entlegen gewordenen Wissens und Könnens als Wahrer von Legenden und Bewahrer vor Gedächtnisverlust längst zu Kultstatus. In der bildenden Kunst gebührt ihnen zumindest Respekt.

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